Mittwoch, 8. Juni 2011

Bei May an der Tafel - Ein Abendspaziergang

A rather personal note:

Seit heute Mittag steht die Gedenktafel am May-Ayim-Ufer. Nicht, dass ich glaubte, irgendetwas Neues zu lesen... Ich ging trotzdem hin. Vorhin, im Dunkeln, bei kaltem Wind und undefinierbarem Nieselregen. Ein paar Friedrichshainer Hipster-Krautrocker haben auf der Oberbaum- Brücke gespielt. Die Gitarre war unsinnig übersteuert und schallte quer über die Spree. Und es roch nach See! Es riecht nie nach See in Berlin. "Diesel" ist das höchste der Gefühle. Überhaupt gehen Gerüche unter in Berlin. Zwischen konstantem Rauschen und Knattern der Motoren, dem Gejohle besoffener spanischer Teenager und dem ständigen Blinken der O2-Leuchtreklamen, Daddelhallen, Dönerschuppen, Massagesalons - zwischen all diesen "IN-YOUR-MUTHAF**IN-FACE"-Reizen verliert die olfaktorische Wahrnehmung an Bedeutung.

Ungefähr zweihundert Meter in der Straße hinein steht sie dann da. Auf dem Rasen, in aller Pracht. In Glas gefasst. Es ist ein schönes Bild von May - das Bekannteste halt. Irgendwie ist es seltsam für mich das Bild einer Frau zu bewerten, die ich nie kennen gelernt habe. Es ist albern. Es ist eine Gedenktafel an einer Straße und kein... ich weiß nicht. Und selbst wenn ich ihre Gedichte gelesen und analysiert habe, bedeutet das nicht, irgendwas von der Person verstanden zu haben.
Um ehrlich zu sein, sind mir die meisten ihrer Texte wieder entfallen. "Afrodeutsch I" haben wir bis zum geht-nicht-mehr zitiert. Wir, wir alle, die sich mit diesem "Wir" identifizieren können. Die Sache mit der deutschen "Sch-Einheit" und das Adjektiv "Leberwurstgrau" drängt sich auf. Es sind Begriffe, die in mir Bilder auslösen von Helmut Kohl, Autobahnzubringern, gelben Telefonzellen, eckigen deutschen Autos und Herbert-Grönemeier-Hymnen im Hintergrund. Neonazis und Nineties-Nostalgie. Die frühen 90er muss mensch nicht mögen, aber wahrscheinlich waren sie notwendig. Weniger Nazis wären allerdings toll gewesen.

Und dann ist da noch die Sache mit der Community und dem Schritt aus der Isolation. Freundschaften, Wohnprojekte, großartig-unterhaltsame zwischenmenschliche Konflikte, Empowerment, Dreadlocks, Kinder, Politik - das volle Programm.  Ich hab mich auf dem Weg gefragt, wie viele Afrodeutsche Menschen ich dort treffe. Dort, an der Tafel. Es war, zugegebenermaßen, etwas naiv anzunehmen, ganz AfroBerlin würde bei solch pissigem Wetter um 23Uhr melancholisch an der Oberbaumbrücke enlangflanieren, um am May-Ayim-Ufer die Beine auszuruhen, ...aber so abwegig war's nu auch nicht. Es war der erste Tag und mein Facebook war voller Jubel darüber. Vielleicht hatte ich auch nur zu viel hineininterpretiert.

Es ist eine kleine gepflasterte Straße; auf der Rechten zur Spree hin offen. Links ein Kuchenstück Hundewiese mit ein paar Pappeln, dann wieder Berliner Häuserfront. Nicht wirklich relevant und doch hübsch. Vor Allem aber ist es der bisher einzige Ort, wo unsere "Bindestrich-Identitäten" namentlich - auf dem Stadtplan verzeichnet, im Stadtbild verewigt - Normalität darstellen. Eine Person, die gewürdigt wurde. Eine Schwarze Frau. Ein Sieg, ein einziger. Ein verdienter Sieg. Eine verdammte Straße in all dem Mist, der einem täglich um die Ohren fliegt! Es ist ein unfairer Kampf...
Einmal hoch, einmal runter. Zum Wasser geschaut, Fluppe geraucht, den Geruch der Pappeln genossen. Tief durchgeatmet und mit einem warmen Gefühl von Hoffnung am Horizont den Heimweg angetreten. War halt nen Abendspaziergang... War schön.



Picture Source, Tafel: http://www2.frieke.de/uploads/pic_4111547_full.jpg
May-Ayim-Ufer: http://blog.derbraunemob.info/wp-content/uploads/2009/05/collage-now-reality_50prz.jpg

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